Praxisverstand – Warum gesunder Menschenverstand wichtiger ist als technologische Versprechen

von Christian Rudolph 12.05.2025

News 7 Min. Lesezeit

In der Welt industrieller HMIs ist technologischer Fortschritt wichtig – aber er darf nie Selbstzweck sein. Gerade wenn neue Trends wie „alles mit Icons“, „Multitouch“ oder „alles mit KI“ aufpoppen, braucht es eine verlässliche Instanz, die die Relevanz prüft: gesunden Menschenverstand.

Dieser Artikel ist Teil der Serie Zukunftssichere HMIs.

Er ist das vielleicht unterschätzteste Werkzeug in der HMI Entwicklung – jederzeit verfügbar, kostenfrei und erstaunlich treffsicher, wenn man ihn bewusst einsetzt. Warum also wird er so oft ignoriert? Weil der Hype lauter ist.

Design-Sackgassen, die sich hartnäckig halten

Über die Jahre haben sich bestimmte Denkfehler und Reflexe in der UI-Entwicklung etabliert, die regelmäßig zu schlechten Interfaces führen – obwohl sie mit gesundem Menschenverstand leicht zu entlarven wären:

  • „Icons statt Text, dann müssen wir nichts übersetzen“ – Klingt effizient, sorgt aber meist nicht für universelle Verständlichkeit. Das hundertste Icon ist nur dann eindeutig und initial schnell zu erfassen, wenn es mit einem gut gesetzten Label kombiniert wird.
  • „Alles ist wichtig – der Experte braucht das“ – Möglich. Aber wer immer alles zeigt, macht nichts sichtbar. Gute Interfaces priorisieren und verstecken bewusst.
  • „Die Nutzer:innen finden schon raus, wie es funktioniert“ – Nein. Intuitive Bedienung ist kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit.
  • „Was die User damit machen, wissen wir nicht – also machen wir lieber alles einstellbar“ – Ergebnis: komplexe, unbenutzbare Oberflächen, die man aber super einstellen kann.
  • „Wir bauen für den Extremfall“ – Und verfehlen dabei die 80% der normalen Nutzer:innen. Besser: für die Mitte gestalten, Ausnahmen absichern.

Der KI-Hype: Technologie ohne Ziel ist Verschwendung

Ein weiteres aktuelles Beispiel für fehlenden Praxisverstand ist das Thema KI. Plötzlich soll alles „intelligent“ sein – egal ob sinnvoll oder nicht. Sprachassistenten, Chatbots, Predictive Maintenance Features – oft ohne klare Antwort auf die Frage: Welches reale Problem lösen wir damit?

Dabei ist der richtige Umgang mit KI eigentlich simpel:

  • KI ist kein Selbstzweck. Sie muss einem klaren Nutzen folgen.
  • KI braucht Schnittstellen, keine Abhängigkeiten. Systeme sollten offen, modular und updatefähig bleiben.
  • KI muss nachvollziehbar sein. Ein gutes HMI ist erklärbar, nicht magisch.

Ein gesundes Maß an Skepsis schützt hier vor teuren Fehlentscheidungen – und sorgt dafür, dass KI dort eingesetzt wird, wo sie wirklich hilft.

Praxisverstand in der Entwicklung – mit System

Guter Menschenverstand lässt sich auch strukturell fördern:

  • Cross-funktionale Teams: UX, Technik, Vertrieb, Service – gemeinsam denken verhindert Tunnelblick.
  • Nutzungsszenarien statt Featurelisten: Was tun Nutzer:innen wirklich mit dem System?
  • Tests mit echten Anwender:innen: Sie zeigen oft in 5 Minuten, was 5 Meetings nicht klären.
  • Pragmatische Entscheidungen statt Ideologie: Nicht „Mobile First“, sondern „Use Case First“.

HELIO: Entwickelt mit gesundem Menschenverstand

Unsere Plattform HELIO ist das Ergebnis vieler Jahre Praxis – und vieler vermeidbarer Irrtümer, die wir bewusst nicht wiederholen. Entstanden ist eine modulare UI-Plattform auf Basis moderner Webtechnologie. So ist HELIO von Haus aus „AI Ready“.

  • Es trennt strikt zwischen UI-Logik und Maschinen-Backend.
  • Es bietet offene Schnittstellen für Drittsysteme, darunter auch KI-Dienste.
  • Es ermöglicht die flexible Integration von z. B. Predictive Maintenance-Tools, Assistenzsystemen oder Visual Analytics.
  • Es setzt auf zukunftssichere Standards – keine proprietären Insellösungen.

So bleiben Unternehmen unabhängig – und können Tools, wie KI, dann integrieren, sobald sie planbar sind und einen echten Mehrwert bringen. HELIO bringt also nicht nur Methodik, sondern auch Haltung mit: Nutze, was gebraucht wird – nicht, was gerade glänzt.

Fazit: Weniger Buzzwords. Mehr Verstand.

Technologie ist Mittel zum Zweck – nicht der Zweck selbst. Wer in der HMI-Entwicklung langfristig erfolgreich sein will, braucht Haltung. Gesunder Menschenverstand schützt vor Sackgassen, fördert Klarheit – und führt letztlich zu besseren Produkten. Und genau daran glauben wir – bei unserer Arbeit mit Kunden. Und bei der Entwicklung von HELIO.

Interne Quellen

E.HMI Connect - Exzellente UX für nachhaltige Partikelschaum­produktion
hmi-project.com/de/projects/e-hmi-connect
vimeo.com/836150694

HELIO – Getting Started / The Project Editor
vimeo.com/906008708

Externe Quellen

UX Myths – Häufige UX-Irrtümer entlarvt
Sammlung von Mythen, z. B. „Icons verbessern Usability nicht automatisch“ oder „Experten brauchen keine Tests“.
uxmyths.com

The Intersection of Common Sense and User Research in UX Design
Ein Artikel, der erklärt, warum gesunder Menschenverstand hilfreich ist – aber nicht die Nutzerforschung ersetz
uxplanet.org/striking-the-balance-the-intersection-of-common-sense-and-user-research-in-ux-design-8efd21a70276

Designing better products just using common sense (Prototypr)
Vorschlag eines pragmatischen Designprozesses, der Common Sense nutzt, ohne komplexe Methoden zu überspringen
blog.prototypr.io

UX Is Just Common Sense. UI Is Where the Real Challenge Begins.
Medium-Beitrag zu zentralen Denkprinzipien der UX, die auf gesundem Menschenverstand basieren
medium.com

The myth of common sense and intuitive design (UX Collective)
Kritische Auseinandersetzung mit der Annahme, dass „intuitiv“ = gesundes Menschenverstand ist
blog.prototypr.io

User Experience And Common Sense (Usability Geek)
Betont, dass gute UX oft einfach gesunden Menschenverstand widerspiegelt
medium.com

UX, It's Just Common Sense Right? (Interaction Design Foundation)
Historischer Überblick, warum UX-Prinzipien heute „common sense“ sind – aber professionelles Wissen notwendig bleibt
interaction-design.org

The Role of Common Sense in UX Design (LinkedIn)
Zeigt, wie Common Sense UX und Innovation verbindet:
workshopper.com

Lean UX für Remote Teams – praxisorientierter Leitfaden
Kompakt erklärt, wie in schlanken Teams mit „Think‑Make‑Check“ realer Mehrwert entsteht.
shopify.com/partners/blog/lean-ux

Unterschied Agile UX vs. Lean UX – klar umrissen
Agile UX kümmert sich um Testing im Sprint, Lean UX fokussiert auf Hypothesen‑Validierung vor dem Bauen.
geeksforgeeks.org/agile-ux-vs-lean-ux

KI verliert ohne klaren Anwendungszweck ihren Wert
Chelsey Fleming, UX-Research Lead bei Google Labs, betont: „AI should support humans, not supplant them“ – KI muss Menschen ergänzen, nicht ersetzen.
businessinsider.com/experiment-with-ai-tools-to-upskill-employees-says-google-researcher-2025-5

Explainable AI (XAI)
Transparente KI, deren Entscheidungen nachvollziehbar sind – entscheidend für ein vertrauenswürdiges HMI.
en.wikipedia.org/wiki/Explainable_artificial_intelligence

Human–AI Collaboration in UX
Studien zeigen: KI muss erklärbar sein („Mit Erklärungen besser“), und synchrones Zusammenspiel erhöht die Wirksamkeit.
arxiv.org/abs/2112.12387

AI in B2B UX-Prozessen
Automatische Komponentenerkennung, Role-based UI, Prototypen-Generierung – KI verbessert Skalierung ohne menschliche Kontrolle zu ersetzen.
fullstack.com/labs/resources/blog/ai-tools-for-ux-ui-design-a-b2b-perspective



Dieser Artikel ist Teil der Serie:

Zukunftssichere HMIs – Erfolgsfaktoren für industrielle User Interfaces mit Weitblick

1. Nutzerzentrierung
Wer nicht das Produkt, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt, bekommt nicht nur zufriedenere Nutzer:innen, sondern auch bessere Produkte.
Weiterlesen

2. Technologische Zukunftssicherheit
Webtechnologie ist führend – weil sie eine riesige Nutzerbasis, etablierte Standards und offene Schnittstellen bietet.
Weiterlesen

3. Prozess- und Ressourceneffizienz
Effiziente HMIs entstehen nicht durch Zufall – sondern durch klare Abläufe, passende Werkzeuge und gute Rollenverteilung.
Weiterlesen

4. Unabhängigkeit & Skalierbarkeit
Wenn Sie industrielle HMIs erstellen, sollten Sie sich nicht an Lieferanten oder Hardware binden. Unabhängigkeit ist der Schlüssel.
Weiterlesen

5. Es gibt nur ein Team
Erfolgreiche HMIs entstehen nicht durch Tools oder Technologie allein – sondern durch echte Zusammenarbeit.
Weiterlesen

6. Praxisverstand
Hier ist unsere ultimative Zutat für den Aufbau zukunftssicherer HMIs. Das Beste daran ist: Sie ist meistens werkseitig bereits eingebaut.

Christian Rudolph Management HMI Project

More posts